Der Alkohol |
Der Artikel beschreibt in witziger
Form, aber auch mit tragischem Inhalt die historische Bedeutung und
Wirkungsweise des Alkohols auf den Menschen. |
Gestatten, mein Name ist
Alkohol ! Aufgezeichnet von Jürgen Neffe,
Süddeutsche Zeitung |
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Meine Geschichte beginnt in der
buchstäblich grauen Vorzeit. Als auf der Erde noch lange nicht an Leben
zu denken war, entstand ich durch Blitzschlag oder Vulkanausbruch, ein
Urstoff, gelöst in der Ursuppe aus Wasser (H2O) oder freischwebend als
Gaspartikel in der Ur - Atmosphäre aus Stickstoff und
Kohlendioxyd(CO2). Wie die meisten meiner Mitmoleküle war ich ohne
Wichtigkeit für das
Wandeln und Werden auf diesem Planeten. In meiner Bewußtlosigkeit
ertrug ich das klaglos wie mein kommendes Schicksal : Als die ersten
" primitiven", für meine Verhältnisse freilich schon
höllisch komplizierten Lebewesen auftauchten, mußte ich mich mit der
Rolle eines Abfallstoffes abfinden. Die fressenden Urmikroben konnten,
da es keinen freien Sauerstoff (O2) auf Erden gab, ihre Nahrung nicht
vollständig " verbrennen ". Sie bauten die ohnehin knappen
Nährstoffe zu CO2 und einer organischen Verbindung wie mich ab. Diese,
im Grunde aus einer Atem - Not geborene molekulare Müllentsorgung, die
ihr später " Gärung " nanntet, ist heute die einzig
zulässige Methode, mich für den " Genuß " herzustellen. Die
Vergärer waren keine Kostverächter, doch wahrhaft schlechte
Kostverwerter. Ein Großteil der Energie steckte ungenutzt in uns, den
Gärungsprodukten, die sich zum Teil verflüchtigten. Die Welt muß
damals wie ein dampfendes Bierzelt gerochen haben. Erst nach
Jahrmilliarden begannen irgendwelche verrückt gewordene Winz - Wesen -
ich glaube, die Vorfahren der heutigen Blaualgen - damit, das
Sonnenlicht direkt zu nutzen. Bei diesem, später Photosynthese
genannten Vorgang wurde jede Menge Sauerstoff frei - ein Gift, das nun
alles oxydierte, was sich nicht dagegen schützen konnte. Verbrennung,
Rost und Korrosion verwandelten die Erde in ein chemisches Schlachtfeld.
Nur in kleinen Nischen, die das Giftgas nicht erreichte, konnten viele
meiner Erzeuger überleben. Nichtsdestotrotz: Wo sie
"anaerob", also unter Luftabschluß wirken konnten, da gärte
es. Im Laufe von Jahrhundertmillionen entwickelten sich aus den
effektiven Urwesen allmählich jene Organismen, die heute fast die
gesamte Lebensvielfalt ausmachen - Pflanzen, Tiere und vor kurzem
schließlich auch ihr " vernunftbegabten " Menschen. Seit diesem Tag aber - aus meiner
Sicht der historische Augenblick der Menschwerdung - bin ich euch nicht
mehr aus den Köpfen gegangen. Der Affennachfahre entdeckte das Wunder
des Rausches - sein fortan wichtigstes mentales Werkzeug, das Jammertal
Leben als denkendes Wesen zu ertragen. Kaum hatte er sich kraft seines
hochentwickelten Gehirns und des darin erzeugten Bewußtseins von
sämtlichen Kreaturen abgesetzt, um sich seinem " Siegeszug "
über den Planeten zu widmen, da begriff Homo sapiens auch schon den
Reiz der Vernebelung eben dieses Bewußtseins. Ähnlich wie das Wissen ums
Feuermachen breitete sich die Kenntnis vom Kick Die Landwirtschaft setzte sich demnach
durch, weil sie endlich eine verläßliche Quelle für das "
flüssige Brot " schuf, das die Versorgung mit B-Vitaminen und
essentiellen Aminosäuren, aber auch mit Schwipsmittel sicherstellte. Da
die Menschen gelernt hatten, nicht nur das rasch vergehende Obst zu
nutzen, sondern auch das viel haltbarere Getreide, war für Nachschub in
jeder Saison gesorgt. Sie ließen Körner keimen oder kauten sie durch,
warfen oder spuckten sie ins Wasser
- und wie durch ein Wunder wurde daraus eine Art Urbier. Was sie
nicht wissen konnten: Ein Ferment im menschlichen Speichel, die "
Amylase ", oder Enzyme im jungen Keimling spalten die
Getreidestärke in einfache Zuckermoleküle. In der Luft befinden sich
winzige einzellige Pilze, die " Hefen ", die davon leben,
Zucker unter Luftabschluß zu vergären. Plötzlich war ich in aller Munde -
zumindest im Vor - Abendland. Mein Triumphzug hatte begonnen. Wie ein
Virus breitete ich mich nun aus. Die Zahl der Infizierten wuchs
beständig. Die Menschheit - vor allem die Männchen und Männer
- wurde mir zunehmend hörig. Die Kultur des Rebanbaues
verbreitete sich von Mesopotamien über Ägypten in der gesamten mit
gemäßigtem Klima gesegneten westlichen Welt. Meinem Erfolg half es
nicht wenig, daß ich in alten Kulturen auch als Arzneimittel Verwendung
fand. Die Sumerer verschrieben Bier, ägyptische Heiler dazu noch Wein
gegen allerlei Unpäßlichkeiten. Gleichzeitig richteten frühe
Religionen immer neue, mir gewidmete Gott - Ämter ein, die Griechen
riefen Dionysos, die Römer Bacchus an. Diese Gottwesen vermuteten
allerdings nicht im Wein selbst - da war ja ich, und ich bin kein Gott,
eher ein Teufel -, sondern in dessen Auswirkungen auf ihren Geistes- und
Gemütszustand: Zu ihnen sprach ein Medium, der Geist des Weines. Der
Vorvertrag zum Faustschen Pakt war unter Dach und Fach. ---
Er verwandelte Wasser in Wein.
---- Als ob er damit nicht schon genug Ehre
erwiesen hätte, wagte der " König der Juden " beim
Abendessen mit seinen Getreuen einen kühnen Vergleich. " Dies ist mein Blut ",
sagte er, einen Kelch voll roten Rebensaftes in der Hand. " Von jetzt an werde ich nicht
mehr von diesem Gewächs des Weinstockes trinken bis zu dem Tage, da ich
es ganz mit euch trinke im Reiche meines Vaters ". Tags drauf wurde der Mann auf ein
hölzernes Kreuz genagelt. Noch im Tod verspotteten ihn die Gaffer und
reichten ihm wie zum Hohn vergorenen Wein - nämlich Essig. Etwa zu einem Fünftel nimmt mich die
Magenwand auf, der Rest erreicht über den Dünndarm das Blut. Ein
voller Magen kann meine " Resorption " in die Länge ziehen,
Nüchterne durchströme ich in kürzester Zeit - besonders, wenn, wie
beim Sekt, viel Kohlensäure im Spiel ist. Eine halbe bis eine Stunde
nach dem Trinken ist die höchste Konzentration im Blut erreicht -
gemessen in Teilen Alkohol pro tausend Teile Blutflüssigkeit, in
Promille. In Blut, das ja größtenteils aus Wasser besteht, löse ich
mich so gut wie Whiskey in Cola. In Minutenschnelle bringt mich der
Kreislauf selbst in die hintersten Winkel des Körpers - unter den
dicken Zeh ebenso wie in die letzten Hirnwindungen. Damit ihr euch eine
Vorstellung macht, wovon ich rede : Wenn ich dann später andere
Großhirnfunktionen beeinflusse, wenn Wahrnehmung, logisches Denken und
Gedächtnis allmählich nachlassen, dann frißt das Gift sich in die
Tiefen eures Selbst. Schluck für Schluck übernehme ich die Emotionen,
verdrehe Hunger - sowie Durstgefühl und Kreislauf - ebenso wie die
Atemfunktion. Schließlich lege ich im Kleinhirn die
Bewegungskoordination lahm und kappe die Übertragung vom Kurz - ins
Langzeitgedächtnis - bis der Film reißt. Einer meiner Vorzüge gegenüber
vielen meiner Konkurrenten : Ich bin trinkbar - und was ist
natürlicher als Trinken? Niemand muß schnüffeln, sich Kanülen in die
Venen drücken oder ätzenden Rauch in die Lungen saugen, um in den
Genuß meiner Wirkung zu gelangen. Ich befriedige orale Bedürfnisse und
lasse mich gut dosieren. Der Normaltrinker gibt sich keinenTodesschuß,
obwohl man mich wie Heroin direkt ins Blut plazieren könnte. Er muß -
zumindest anfangs voll bewußt - eine beträchtliche Menge Flüssigkeit
in sich hineinschütten. Andere Drogen binden sich "
spezifisch " an spezielle Strukturen auf den Nervenzellen des
Gehirns, den sogenannten Rezeptoren. Ich muß in relativ riesigen Mengen
den ganzen Körper überschwemmen, um im Hirn die gewünschte Wirkung zu
erzielen. Daher bin ich unter den Drogen die bedrohlichste für eure
Gesundheit. Daß ich dennoch das einzig legale Rauschmittel bin, ja
sogar vor den viel harmloseren Cannabisprodukten Haschisch und Marihuana
den Vorzug erhalte, liegt an einer folgenschweren Fehleinschätzung
eurerseits. In meiner scheinbaren Ungefährlichkeit
- fast jeder läßt sich vorgaukeln, mich fest im Griff zu haben
- liegt meine Gefährlichkeit : Besinnungslos taumeln Millionen durch
die Grauzone geradewegs hinab in den Blackout. Wird jemand alkohol
" krank " - eine genaue Grenze läßt sich da nicht festlegen
-, dann bringt sein zermürbtes Ich zwischen einem Rausch und dem
nächsten nicht mehr genug Willen zusammen, mich zurückzuweisen. Sein
gesamter Organismus ist durch und durch verändert - ich bin, wenn ihr
so wollt, Droge total. Einen Unterschied zwischen körperlicher und rein
psychischer Abhängigkeit gibt es für mich nicht - weil ich zwischen
Leib und Seele nicht trennen, sondern vermitteln will. Nach meiner
Suchttheorie - es gibt so viele, da kann ich ja ruhig eine weitere
hinzufügen - existiert eine Skala des Willens für das Ja oder Nein zu
Drogen. Ich behaupte : Von wenigen Extremfällen im Endstadium einmal
abgesehen, kann jeder, der will oder muß, der stark ist oder von
anderen stark gemacht wird, auf mich und meinesgleichen verzichten. Wenn ich mein Werk in euch vollendet
habe, verpiss` ich mich rasch wieder. Fünf bis zehn Prozent veräußert
ihr direkt über Urin, Schweiß und Atemluft. Den Rest baut die Leber
ab. Denkt nicht, daß ich die Enzyme fürchte, die mich mit einer Rate
von 0,15 Promille pro Stunde zerlegen. Sie vollenden ja nur den Akt der
" Verbrennung ",
bauen mich zum giftigen Acetaldehyd ab, das der Fahne ihren
typischen Geruch gibt, oxidieren dieses weiter zu Essigsäure und
schließlich zu H2O und CO2. Die Lücken, die ich gerissen habe,
wollen gefüllt werden. Das Leberenzym ADH hat keine andere bekannte Funktion
als den Abbau von Ethylalkohol. Warum sollte sich ein solch
komplizierter biochemischer Mechanismus entwickelt haben, wenn keine
Notwendigkeit dazu bestand? Warum wäre er wohl über Tausende von
Generationen erhalten geblieben, hätte es nicht ständige Verwendung
gegeben? Möglicherweise sind nach der Menschwerdung all diejenigen auf
der Strecke geblieben, denen die Erbanlagen für ADH fehlten. Es war kein Zufall, daß die
industrielle Revolution erst losbrach, nachdem Anfang des 18.
Jahrhunderts der Gin in einer wahren Welle von Holland nach England
geschwappt war. Nicht nur die ersten Schnapsfabriken entstanden. Die
Hölle der Maschinenwelt konnten die meisten Malocher nur ertragen, weil
sie die Strapazen ihrer 16 - Stunden-Tage in Branntwein ertränkten.
Viele Arbeiter erhielten einen Teil ihres Lohnes in Form flüssiger
Zahlungsmittel, was übrigens erheblich zur Verbreitung der Trunksucht
in Europa beitrug. Einmal noch hat sich ein Teil von euch
von mir abwenden wollen: Zwischen 1919 und 1933 herrschte in den
Vereinigten Staaten die Prohibition - das totale Alkoholverbot. Was sich
wie der letzte Rettungsversuch einer spritverseuchten Society ausnahm,
war in Wirklichkeit ein Aufstand der amerikanischen Frauen gegen ihre
von mir besessenen, gewalttätigen tyrannischen Männer. Doch ich war viel stärker als
Puritaner und andere Abstinenz - Anbeter zusammen. Unter armen Leuten
sanken zwar Konsum und Zirrhose - Häufigkeit. Reiche und
Mittelkläßler aber fanden schnell wieder - illegale - Wege zu mir.
Schwarzbrennen und Schmuggel standen hoch im Kurs; Korruption,
Verbrechen und Gewalt griffen um sich - und das alles nur, weil ich
geächtet war. Die Wirte der " Speakeasies " - geheimer
Hinterzimmerkneipen - bezogen ihren Schnaps von Gangstersyndikaten, die
Leute wie Al Capone kommandierten. So geht also auch die organisierte
Kriminalität auf mein Konto, die euch illegales Glücksspiel,
erzwungene Prostitution und nicht zuletzt die " harten "
Drogen bescherte. Vor 1920 hatte der US - Fiskus ein Viertel seiner
Einnahmen aus Alkoholsteuern bezogen - Geld, das danach (wie heute durch
den Deal mit Kokain oder Crack) Gangs und Gangster abkassierten. Ich steigere aber nicht nur
Kreativität und Erfindergeist, verleihe nicht nur Charisma, sondern
sorge vor allem für jene permanente Ruhelosigkeit, die Fortschritt,
Expansion und Wachstum erst die Wege ebnet - seien diese nun auf Dauer
nutzbringend oder destruktiv. Und seit auch ihr Japaner sauft,
obwohl ihr mich so schlecht vertragt, erobert ihr mit euren Waren nun
die Welt. In Japan trifft der Manager Entscheidungen meist nicht im
Büro, er geht in eine Bar. Ein Sprichwort zeigt zudem, wie gut
ich dort verstanden werde: " Erst nimmt sich der Mann einen
Drink. Dann nimmt sich der Drink einen Drink.
Dann nimmt sich der Drink den Mann.
"
Ob ihr mit Lust und Freude Kinder
zeugt, Von Jürgen Neffe --- Süddeutsche Zeitung. |